Cross-EM: Pia Schlattmann glänzt mit Platz 4 und Team-Bronze

15.12.2024 | Bei ihrem ersten internationalen Einsatz hat Pia Schlattmann alle Erwartungen übertroffen: In Antalya belegt sie im U23-Feld Platz 4 und führt das deutsche Team zu Bronze.

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Bronze für das deutsche U23-Team! Mia Jurenka, Pia Schlattmann und Blanka Dörfel jubeln. © Florian Waltz

Die Erwartungen und Hoffnungen an das Debüt bei einer internationalen Meisterschaft, in unserem Fall einer EM, lassen sich gemeinhin wie folgt fassen: Die Debütantin wird mit einer Mischung aus Euphorie und Nervosität das Kräftemessen mit den Besten des Kontinents erwarten; sie wird sich auf den stolzen Moment freuen, erstmals das Nationaltrikot überzustreifen; sie wird bestrebt sein, die Nominierung durch eine gute Leistung zu rechtfertigen und sich, im besonderen Fall der Cross-EM, für den Kampf um jeden Team-Platzierungspunkt wappnen; unterm Strich wird sie ein positives, lehrreiches Erlebnis anstreben, auf dem sich internationale Folge-Einsätze aufbauen lassen. – Auch Pia Schlattmann dürfte vor der Cross-Europameisterschaft in Antalya (Türkei) so oder ähnlich das bisher größte Ereignis ihrer noch jungen Karriere antizipiert haben.

Die EM-Retrospektive ist diese: Die Debütantin Pia Schlattmann läuft in der U23-Konkurrenz mit einem furiosen Rennen auf Platz vier und führt ihr Team zu Bronze. Unter den 72 Athletinnen aus 21 Nationen ist sie die schnellste Läuferin des Jahrgangs 2004 und hat alle Erwartungen, ihre eigenen und die externen, um Längen übertroffen. Auf der emotionalen Ebene formen Freude, Stolz, Überwältigung und Erschöpfung die Melange eines ganz besonderen Erlebnisses, das noch lange nachwirken wird. Wir lassen die EM im Folgenden Revue passieren.

Das Abenteuer nimmt Konturen an: Einkleidung in Steinfurt

Als am ersten Advents-Wochenende bei den Schlattmanns in Steinfurt die DLV-Kleidung eintrifft, nimmt das Abenteuer Antalya Konturen an. „Das war für mich etwas sehr Besonderes. Bisher hatte ich es nur im Fernsehen verfolgt, dass jemand im Nationaltrikot läuft“, ordnet Pia den Moment der Einkleidung ein.

„Das war für mich etwas sehr Besonderes. Bisher hatte ich es nur im Fernsehen verfolgt, dass jemand im Nationaltrikot läuft.“ (Pia Schlattmann)

Es folgen fünf Tage im Zeichen des Spannungsverhältnisses wachsender Fokussierung und der Notwendigkeit, die Anforderungen des Medizinstudiums zu erfüllen. Dabei gilt es im Übrigen, sich von Krankheitserregern fernzuhalten, um die EM nicht auf den letzten Metern zu gefährden.

Das Abenteuer beginnt: In den Flieger nach Antalya

Am Nikolaustag ist es dann so weit: Pia steigt in Düsseldorf in den Flieger nach Antalya. Zu diesem Zeitpunkt hat die 20-Jährige, abgesehen von Bahn-Meetings in den Niederlanden, noch keinen Wettkampf im Ausland absolviert. Jetzt soll es also eine Europameisterschaft in der türkischen Millionen-Metropole am Mittelmeer sein. Zum Glück fügt sich Pia in ein Team mit erfahrenen Athlet:innen ein, das die Debütantin freundlich begrüßt. „Athletinnen wie Mia Jurenka haben mich sehr gut aufgenommen, mir von ihren Meisterschafts-Erlebnissen berichtet und Tipps gegeben“, erzählt Pia. Insgesamt reist der DLV mit 21 Athletinnen und Athleten zur EM, im Team der weiblichen U23 begegnet Pia, wie bereits in Riesenbeck, der Berlinerin Blanka Dörfel sowie Mia Jurenka vom VfL Sindelfingen.

In Antalya angekommen, bezieht der DLV das Hotel. Unmittelbar am Mittelmeer gelegen, wähnt man sich für einen Moment im Urlaub.

Der Samstag: Streckenbesichtigung und Teamansprache

Im Zeichen der Streckenbesichtigung steht der Samstag. Der türkische Leichtathletikverband hat mit viel Aufwand eine Brachfläche in einen meisterschaftstauglichen Parcours verwandelt: Ein grünes Wiesenband zieht sich durch ein zerklüfte Lehm-Stein-Landschaft; leichte Bodenwellen, rhythmusbrechenden Kurven und Hindernissen sowie Sand- und Schlammpassagen versprechen einen selektiven Kurs. Mindestens ebenso wichtig wie das Inspizieren der Schlüsselstellen des Kurses ist die Wettkampf-Logistik: „Wir haben alles erkundet: wo der Callroom ist, wo wir die Funktionalität unseres Zeitmessungs-Chips überprüfen, wo die Teamzelte stehen und wo wir uns aufwärmen können“, beschreibt Pia die akribische Vorbereitung.

„Markus Görger und Hanna Klein beiden haben mich sehr beeindruckt. Sie haben tolle Worte gefunden, mit denen sie uns auf den Wettkampf eingestimmt haben. Sie haben uns gesagt, dass wir um jeden Platz kämpfen, alles fürs Team geben und davon abgesehen Spaß haben sollen.“ (Pia Schlattmann)

Am Abend schwört sich das komplette Team im Beisein der Bundestrainer auf das Rennen ein. Tief beeindruckt ist Pia Schlattmann von den Ansprachen der erfahrenen Meisterschafts-Akteure Markus Görger und Hanna Klein: „Die beiden haben mich sehr beeindruckt. Sie haben tolle Worte gefunden, mit denen sie uns auf den Wettkampf eingestimmt haben. Sie haben uns gesagt, dass wir um jeden Platz kämpfen, alles fürs Team geben und davon abgesehen Spaß haben sollen.“ Leichtathletik lebt eben auch von der Gemeinschaft Gleichgesinnter und die Cross-EM ist in besonderem Maße ein Event für homogene Teams. Den eher unangenehmen Teil der Einstimmung übernimmt für das weibliche U23-Team Heiko Schulz, DLV Bundesstützpunkttrainer Nachwuchs Lauf/Gehen: Teil der taktischen Marschroute ist die mentale Vorbereitung auf eine Renneröffnung, deren Geschwindigkeit einem das Fürchten lehren könne. „Heiko hat uns mit auf den Weg gegeben, nicht zu erschrecken und mutig mitzugehen ohne völlig zu überpacen“, fasst Pia die ebenso rudimentäre wie respekteinflößende Renntaktik zusammen.

„Ich wollte zeige, dass meine DM-Leistung keine Eintagsfliege war und ich auch als Teil der Nationalmannschaft meine Leistung bringen kann.“ (Pia Schlattmann)

Der Wettkampfmorgen: Auftakt am Strand, Opening Ceremony mit wachsender Nervosität

Idyllisch mutet der Start in den Wettkampf-Sonntag an: Am Strand absolvierten Pia Schlattmann und Mia Jurenka ihren Auftakt. Bald darauf steigen sie in den Bus, der das Tam zur Strecke bringt – früh genug, um die Opening Ceremony der Cross-EM 2024 zu verfolgen, aber auch früh genug, um der wachsenden Nervosität gewahr zu werden, die sich bei Pia mit gewissem Druck mischt: „Ich wollte zeige, dass meine DM-Leistung keine Eintagsfliege war und ich auch als Teil der Nationalmannschaft meine Leistung bringen kann.“ Ermutigt wird sie durch ihre Familie, die es sich nicht hat nehmen lassen, Pias Pias EM-Debüt vor Ort mitzuerleben.

Das EM-Rennen: Nur eine Richtung – nach vorne

Um 12:25 Uhr starten 72 Athletinnen in das 6.322 Meter lange Meisterschaftsrennen. Pia Schlattmann gelingt ein passabler Auftakt, sie sortiert sich im zweiten Drittel des Feldes ein und nimmt die Pace der Britinnen und Polinnen an. Nach der ersten von vier Runden rangiert sie auf Platz 31, dicht gefolgt von Teamkameradin Blanka Dörfel. Von da an kennt die von Robert Welp perfekt auf das Großereignis eingestellte Athletin nur noch eine Richtung: Es geht beständig nach vorne. Hinter der achtköpfigen Spitzengruppe erschließt sie als Teil der ersten Verfolgergruppe die für sie perfekte Positionierung im Feld: „Ich bin in der Gruppe mitgerollt, habe gute Wege gefunden. Ab der dritten Runde sind fortwährend Athletinnen aus der Spitzengruppe abgefallen, sodass wir immer Läuferinnen ein- und überholen konnte – das hat Energie, Kraft und Motivation gegeben.“

„Ab der dritten Runde sind fortwährend Athletinnen aus der Spitzengruppe abgefallen, sodass wir immer Läuferinnen ein- und überholen konnte – das hat Energie, Kraft und Motivation gegeben.“ (Pia Schlattmann)

Zur Hälfte des Rennens ist Pia Schlattmann auf Platz 17 vorgerückt und fühlt sich weiterhin gut. Das deutsche Team belegt im Zwischenranking Platz acht – in etwa so, wie man es erwarten konnte. Auf der dritten Runde schiebt sich die hoch gewachsene Athletin im Trikot mit dem Bundesadler zunehmend nach vorne. Während jetzt die Finnin Ilona Mononen, 3000 m Hindernis-Läuferin der europäischen Spitze (PB: 9:22,77 min) aufs Tempo drückt, nähert sich Pia Schlattmann der Top 10. Vor allem auf der langen Schlussgeraden, deren leicht abschüssiger Verlauf prädestiniert für hohe Geschwindigkeiten ist, zieht sie ihren raumgreifenden Schritt kraftvoll und elegant und macht Meter gut.

„Ich habe eingangs der letzten Runde gesehen, dass ich recht weit vorne lag und es ist mir gelungen, mich an die vor mir laufende Dreiergruppe ranzusaugen“, nutzt Pia die kleinen Grüppchen als Relaisstation auf ihrem Weg nach vorne. Sie geht auf Platz sieben auf die finalen ca. 1500 Meter. Auch das DLV-Team ist plötzlich mitten drin im Kampf um die Medaillen: 48 Platzierungspunkte bedeuten zu diesem Zeitpunkt den geteilten dritten Platz mit den türkischen Gastgeberinnen.

Die Zielgerade: Entschlossen und kraftvoll mitten in der europäischen Elite

Während die Medaillen zwischen Ilona Mononen, Phoebe Anderson (Großbritannien, 5000 m-PB: 15:29,02 min) und Maria Forero (Spanien, 5000 m-PB: 15:19,69 min) vergeben werden, biegt Pia Schlattmann auf Platz sechs auf die lange Zielgerade ein, nimmt das letzte Hindernis und wirft alles in den Schlussspurt. Wer der jungen Deutschen ins Gesicht blickt, erkennt Entschlossenheit und Selbstbewusstsein, der Laufstil beschreibt bis auf die Ziellinie eine lineare Kraftentwicklung nach vorne, während die Konkurrenz teils erheblich im Oberkörper rotiert. Pia Schlattmann kassiert zunächst die Britin Mia Waldmann und schiebt sich auf den letzten Metern noch an der Französin Camille Place vorbei – Platz vier! Hinter der Ziellinie geht sie völlig entkräftet zu Boden.

„Mia, Blanka und ich haben im Ziel in Richtung der Bundestrainer geguckt, die recht weit von uns entfernt standen. Als sie mit den Fingern eine drei zeigten, war der Jubel groß.“ (Pia Schlattmann)

Die Medaillen gehen an Phoebe Anderson (Gold), Maria Forero (Silber) und Ilona Mononen (Bronze), auf die Finnin verliert Pia Schlattmann nur elf Sekunden. Als Pias Teamkolleginnen Blanka Dörfel auf Platz zehn und Mia Jurenka auf Platz 26 das Ziel erreichen, ist die zweite Überraschung perfekt: Mit 40 Platzierungspunkten holt das DLV-Team Bronze – zwei Punkte vor Spanien und lediglich zwei Punkte hinter den mit Silber dekorierten Türkinnen. Die Cross-Nation Großbritannien holt Team-Gold. „Mia, Blanka und ich haben im Ziel in Richtung der Bundestrainer geguckt, die recht weit von uns entfernt standen. Als sie mit den Fingern eine drei zeigten, war der Jubel groß“, erlebte Pia Schlattman emotionale Momente.

Die Medaillenzeremonie: Überwältigende Emotionen auf dem Podium

Stichwort Emotionen: Die folgende Stunde ist gespickt mit großen Emotionen und überwältigenden Eindrücken. „Man reichte uns eine Fahne, wir wurden zum Interview gebeten. Als wir dann bei der Siegerehrung auf dem Podium standen, wir zu den vielen Menschen im Publikum blickten und die britische Hymne erklang, waren das alles sehr besonders“, sammelt Pia Erinnerungen, die wohl ein Leben lang fortwirken werden.

Was bleibt: Erinnerungen für ein Leben

Die Leistung stuft sie mit etwas Abstand als geradezu unwirklich ein: „Ich habe mich selbst überrascht, aber auch Robert, den DLV und alle anderen. Ich hätte das nie für möglich gehalten.“ Und doch hat es sich genauso ereignet. Das Gesamterlebnis Antalya 2024 bilanziert Pia Schlattmann so: „Es waren aufregende und anstrengende Tage. Eine tolle, besondere Erfahrung, die ich nie vergessen werde.“