„Die WM in Cali ist für mich der Einstieg in das internationale Läufer-Business“

01.08.2022 | Für Silas Zahlten hat das Abenteuer U20-WM in Cali begonnen. Am Freitag ist er als einer von 75 Athleten und Athletinnen des DLV-Teams auf dem internationalen Flughafen der kolumbianischen Millionen-Metropole gelandet.

Sponsor

An diesem Montag starteten die globalen Titelkämpfe der U20-Leichtathletinnen und Athleten, am 03. August steht Silas dann an der Startlinie zum 3000 Meter Hindernis-Vorlauf.

Silas Zahlten hat im Jahr 2022 bereits alles erreicht: Zwei Silber- und eine Bronzemedaille hat er bei den deutschen U20-Meisterschaften (Halle, Freiluft) geholt, und das als „Juniorjahrgang“ der U20-Klasse. Hinzu kommt U23-DM-Gold als Teil der 3×1000 Meter-Staffel. Genug für ein Jahr, sollte man meinen. Indes wartet in der Höhe Kolumbiens wenige Wochen nach seinem Gala-Auftritt in Ulm ein weiteres Highlight: die U20-Weltmeisterschaften. Es ist ein erstes Aufeinandertreffen mit den Hindernis-Läufern etwa aus Äthiopien, Marokko oder Uganda, die als Jugendliche schon stark genug sind, um auf dem Level der deutschen Männer-Elite zu laufen.

Silas lässt das alles entspannt auf sich zukommen. „Ich fahre nach Cali, um Erfahrungen zu sammeln. Ich hatte ein Mega-Jahr und habe alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Cali krönt die Saison und ich bin voller Vorfreude, verspüre dabei keinen Druck.“ In der Tat ist die WM-Teilnahme so etwas wie die krönende Kür, auf die der 17-Jährige und sein Trainer Jörg Riethues vor der Saison nur mit einem Auge geschielt hatten. „Als wir im Spätsommer 2021 das nächste Jahr vorbereitet haben, sah unsere Planung wie folgt aus: Wir würden die JWM-Quali nicht aggressiv angehen, wussten aber um die Machbarkeit, wenn alle Bausteine zusammenpassen und keine Krankheit dazwischenkommt“, gibt Jörg Riethues einen Einblick in die Strategiearbeit.

„Mein Umfeld in Münster und meine Familie sind meine Erfolgsbasis“

Und die Bausteine, sie passten zusammen: Silas blieb unverletzt und auch von Corona verschont, folglich ging der Trainingsausfall in Herbst, Winter und Frühjahr gen null. Teil der Erfolgsformel ist für den Top-Athleten der LG Brillux Münster auch sein Umfeld: „Mein Trainer, die Ärzte und Physiotherapeuten, das alles passt in Münster optimal zusammen. Hinzu kommt mein familiäres Umfeld. Diese Dinge werden viel zu selten erwähnt, obwohl sie die Basis für mein erfolgreiches Training sind“, zollt Silas jenen Dank und Anerkennung, die ihm auf seinem Weg begleiten.

2022 führte der Weg steil nach oben: Die Freiluft-Saison war noch jung, da knackte Silas in Karlsruhe über die Hindernisse bereits die WM-Norm: 9:01,57 Minuten zeigte das Tableau und das Rennen um die zwei Tickets für Cali war eröffnet. „Nachdem Silas die Norm unterboten hatte, haben wir uns natürlich auf die Nominierung konzentriert. Wir haben die Wettkampffolge ganz auf die WM abgestellt, sind beispielsweise keine 800 Meter oder 3000 Meter flach gelaufen“, erklärt Jörg Riethues. Bemerkenswert abgeklärt und selbstsicher gestalte Silas danach seine Rennen und behielt auch beim Ausscheidungsrennen in Mannheim (02.07.) einen kühlen Kopf: In einem kühnen Dreikampf sicherte er sich hinter dem überragenden Kurt Lauer (LAZ Ludwigsburg) und deutlich vor Robin Müller (LC Topteam Erfurt) das zweite Ticket für Cali.

U20-DM in Ulm: Selbstvertrauen, Rennhärte und eine Hepatitis A-Impfung

Die U20-DM in Ulm konnte Silas entsprechend befreit angehen. „Ich bin sehr entspannt nach Ulm gefahren. Ich wusste, dass mein Trainer mich nicht gegen eine Wand laufen lässt und ich die drei Rennen in zwei Tagen gut verkrafte“, blickt Silas zurück auf die nationalen Jugendmeisterschaften, die in der Planung von Jörg Riethues auch eine letzte Belastungsspitze darstellten. Silber über die Hindernisse und Bronze in einem taktischen 1500 Meter-Rennen gaben zudem weiteres Selbstvertrauen. Am Tag nach den Meisterschaften war Ulm für Silas dann Schauplatz einer ganz anderen Dimension seines Cali-Abenteuers: Am Tropeninstitut wurde ihm die Hepatitis A-Impfung verabreicht, zum Schutz vor Infektionskrankheiten, die in den südamerikanischen Breitengraden durch Mücken übertragen werden. „Die Mücken werden in Cali ein Thema sein. Abgesehen von der Impfung werden wir vor Ort weitere Vorsichtsmaßnahmen treffen.“

Cali: Hohe Kriminalität, körperlich herausfordernde Höhenlage

Auch sonst stellt das im Südwesten Kolumbiens gelegene Cali die internationalen Gäste im Allgemeinen und die Läufer im Speziellen vor Herausforderungen: Die Kriminalitätsrate und das Gewaltpotenzial sind hoch – wie in weiten Teilen Lateinamerikas ist die Sicherheitslage fragil. Entsprechend werden die Athlet*innen des deutschen Teams, die in einem vom DLV gebuchten Hotel untergebracht sind, nie ohne Begleitung unterwegs sein. „Es gibt Shuttlebusse, die uns vom Hotel zu den Training- und Wettkampfstätten bringen“, beschreibt Silas die Logistik vor Ort. Eine körperliche Herausforderung speziell für die Läufer ist die Höhenlage: Cali liegt gut 1.000 Meter über dem Meeresspiegel, auf den längeren Strecken wird unter Belastung der leichte Sauerstoffmangel spürbar. In Kombination mit Temperaturen von 30-33 Grad Celsius bei 90-prozentiger Luftfeuchtigkeit ist das für den Körper ein echter Stresstest. Immerhin hat Silas im Oktober letzten Jahres beim Höhentrainingslager in Kühtai (Innsbruck) erstmals die Anpassung des Körpers an die Höhe erlebt. „Ich habe zudem in der Schule eine Projektarbeit über das Thema geschrieben. Ich weiß also, was auf mich zukommt“, zeigt sich Silas unbeeindruckt.

„Natürlich ist das Motto nicht nur ‚Dabei sein ist alles‘“

Obwohl sich Silas in Kolumbien in erster Linie als Lernender sieht, bleibt er der ehrgeizige Athlet, der am Tag X das beste aus sich herausholen möchte. „Natürlich reise ich auch mit sportlichen Zielen an. Ich möchte gerne ins Finale einziehen. Im Zeitbereich von 9:00 Minuten ist das Feld sehr dicht und ich bin in der Form für eine deutlich schnellere Zeit als die 9:01 Minuten von Mannheim – das würde mir Chancen für den Finaleinzug eröffnen.“ Silas fügt hinzu, dass am Tag des Vorlaufs alles zusammenpassen müsse und jedes Rennen seine eigene Dynamik habe. Dabei ist er auf verschiedene Rennverläufe eingestellt, ein taktisches Rennen dürfte ihm mit Blick auf seine hervorragende 1500 Meter-Zubringerzeit (3:48,92 Minuten) am meisten in die Karten spielen. Auch Jörg Riethues traut seinem Athleten einiges zu: „Natürlich ist das Motto nicht nur ‚Dabei sein ist alles‘. Silas will als 17. der bereinigten Weltbestenliste ins Finale laufen und mit seinen zeitlichen Reserven hat er das Potenzial dafür.“

Die Hindernisläufer greifen am dritten Tag der Titelkämpfe (03. August) ins Geschehen ein: Um 9:25 Uhr Ortszeit (16:25 Uhr MEZ) fällt der Startschuss – die früheste Startzeit, der sich Silas je stellen musste und die ihn zu einem Auftakt zu nachtschlafender zwingen wird, etwa fünf bis sechs Stunden vor dem Rennen. Immerhin befindet er sich bereits seit neun Tagen in der Zeitzone Calis: Der DLV wählte den Standort Florida für das Vorbereitungs-Camp (22.07.-29.07.) mit Bedacht, die Athlet*innen hielten sich dort bereits in der identischen Zeitzone auf. Sollte es für Silas ins Finale gehen, würde er am 06. August um 18 Uhr Ortszeit (01 Uhr MEZ) wieder an der Startlinie stehen.

Teambuilding an der Westküste Floridas

Für den Vorlauf sind alle wichtigen Einheiten in den Trainingsbüchern. Das letzte Tempotraining absolvierte Silas an der Westküste Floridas, wo das DLV-Team hervorragende Trainingsstätten nutzen konnte. Allerdings erwartete die Läufer neben dem Jetlag bereits ein Crashkurs in Sachen Klima-Umstellung: „Ab 9 Uhr waren die Sonne zu stark und die Luftfeuchtigkeit zu hoch, um lange Dauerläufe im Freien zu machen. Daher sind wir häufiger aufs Laufband ausgewichen“, berichtet Silas vom Vorbereitungs-Camp, das er im Übrigen als gelungene Teambuilding-Woche erlebte: „Ich habe viele Athletinnen und Athleten kennengelernt, die ich vorher noch nie gesehen hatte.“

So ist denn alles angerichtet für spannende sechs WM-Tage in Cali. Für Silas steht schon jetzt fest, dass die erste ganz große Meisterschaft seiner Karriere ein Gewinn und auch so etwas wie ein Meilenstein sein wird: „Es ist der Einstieg in das internationale Läufer-Business: Man kann sich zeigen und unter Beweis stellen, dass man dort nie wieder raus will.“